Führungsstrategien des 21. Jahrhunderts

Führungsstrategien des 21. Jahrhunderts_CONTRADANZA

Was wirkt positiv auf die Leistung der Mitarbeiter? Die Hirnforschung liefert plausible Hintergründe und bietet wirkungsvolle Konzepte.

Was gute Führung ist, wurde im Industriealter von den erfolgreichsten Wirtschaftsbossen und den renommierten Ökonomischen Hochschulen bestimmt. Erst im Informationszeitalter haben sich akademische Konzepte der Soziologie und der Psychologie mit komplexen Konzepten über Leadership, Organisations- und Personalentwicklung durchgesetzt. Neu war unter anderem: die Stärken und Potentiale der Mitarbeiter rückten in den Vordergrund. Nun nimmt auch die Hirnforschung an dieser Diskussion teil. Neuropsychologische Erkenntnisse können belegen, warum manche Führungskonzepte funktionieren, und andere nicht.

Müssen, Können, Wollen und Dürfen gehören zu den gängigen Rahmenbedingungen der Interaktion zwischen Chef und Mitarbeiter. Diese Reihenfolge ist kein Zufall. Selten hatte ein Arbeitnehmer die Freiheit, die Aufgaben und Ziele selbst bestimmen zu dürfen. In der Regel werden sie von der strategischen Führung des Unternehmens festgelegt und entlang der Firmenstruktur hinunter gebrochen. Ohne an der Ausrichtung und der Definition beteiligt zu sein, müssen Mitarbeiter also bestimmte Dinge tun.

Eine Strategie ohne erhoffte Wirkung!

Treten wir etwas zurück und betrachten die Wirtschaft mit ihren aktuellen Herausforderungen der letzten zehn Jahre. Zum einen ist es die zunehmende Anzahl juristischer Anforderungen in den verschiedensten branchenüblichen Compliance-Varianten. Zum anderen treffen wir vielerorts auf eine rückläufige Wirtschaft, zusätzlich belastet durch eine angespannte Finanzsituation – national und international. Als Antwort darauf kam es bei zahlreichen Unternehmen zu Veränderungen von Strukturen, Anpassungen der Regeln und Umgangsformen – die letztlich alle zum Ziel haben, mehr Leistung pro Kopf zu bekommen. Bei zahlreichen Unternehmen bekommt man den Eindruck, dass das Denken und Handeln der Mitarbeiter genau so wie die rein wirtschaftlichen Kalkulationsdaten in Tabellen gefasst werden. Maximale Kontrolle als Garant für minimale Verluste und maximalen Gewinn. Emotionen jeder Art scheinen für viele Entscheidungsträger ein unkalkulierbarer Faktor zu sein, der möglichst aus der Bilanz gestrichen wird. Die Wirtschaftswissenschaften wurden lange Zeit vom Kant’schen Bild eines berechnenden und rational agierenden Menschen geprägt – dem gewinnmaximierenden Homo Ökonomikus. Interessant ist: Der Deutsche Kant (1724-1804) betrachtete Emotionen als eine Gemütskrankheit.

Die eben genannten verschiedenen organisatorischen Veränderungen weisen einen gemeinsamen Nenner aus: Es ist die kontinuierliche Umsetzung eines de-emotionalisierten Pragmatismus, eine von allen Emotionen befreite, sachliche und lösungsorientierte Routine. Selbst der Austausch von dem Begriff Personalwesen hin zu Human Capital nimmt dem Mitarbeiter jede Menschlichkeit und Individualität. Da wundern wir uns darüber, dass die Mitarbeiter Auftrag nach Pflicht liefern und selbst das beste Motivationstraining nicht nachhaltig wirkt? Die vermeintlichen Korrekturmassnahmen und angeblichen Anpassungen an die veränderten Rahmenbedingungen rauben den Mitarbeitern den Sinn ihrer Aufgabe und dem Unternehmen die Seele! Der englische Philosoph David Hume (1711-1776) vertrat allerdings schon ein halbes Jahrhundert vor Kant, dass Vernunft an sich keinerlei Handlungspotenz habe, d.h. reine Vernunft würde den Menschen nicht dazu anregen, gewiss Handlungen auszuführen, nur Leidenschaft hätte eine motivationale Kraft.

 

Wie beeinflussen Emotionen unser Denken?

Emotion ist, wie auch Verstand (Kognition), eine unscharfe Definition. Fakt ist: Es sind Reaktionen, welche durch spezifische Reize die sowohl real wahrgenommen (z.B. Entlassungen, Gewinnwarnungen, Verwarnungen…), als auch aus dem Gedächtnis abgerufen werden können (Flashback) ausgelöst werden. Wertende Prozesse wie Handlungstendenzen, Aufmerksamkeit, Gestik und Mimik sowie subjektive Empfindungen, die durch externe oder interne Stimuli ausgelöst werden gehören mitunter dazu. In einigen Denkrichtungen beschränkt sich der Begriff der Emotion auf Zustände wie Ärger, Ekel, Angst, Freude und Trauer (Paul Ekmann, geb. 1934). Liebe und Vertrauen sind Weiterentwicklungen von Freude und gehören aus meiner Sicht zu den wichtigsten Faktoren von Leadership im 21. Jahrhundert. In der Tat sind diese fünf Gefühle in vielen psychologischen Konzepten die elementare Basis – mit anderen Worten: Wenn wir die Komplexität der Gefühle auf die Urquelle reduzieren, lassen sie sich gemäss Ekmann einem dieser Grundgefühle zuordnen. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass diese bewussten und unbewussten Emotionen wesentlich dazu beitragen, was wir kognitiv konstruieren. Angst zum Beispiel führt dazu, dass Mitarbeiter mit Lähmung, Angriff oder Flucht reagieren – Phänomene die durchaus eine Organisation gefährlich blockieren könnten. Die Konstruktion der kognitiven Argumente für das konkrete Handeln, die Rechtfertigung, sind neurologisch betrachtet sekundäre Prozesse. Mit Recht stellt sich die Frage, ob wir vom Verstand oder von den Emotionen geführt werden? Die Antwort ist: Sowohl als auch – und je nach dem, ob wir uns wohl oder unwohl fühlen – und wie unsere psychische Disposition ausgelegt ist, dominiert der Verstand oder die Emotion. Die Krux ist, dass es uns meist nicht bewusst ist, wer von den beiden am Drücker ist.
Im Zusammenhang mit Führung ist Motivation ein weiterer wichtiger Begriff. Motivation beschreibt innere Zustände, die durch psychische Antriebe hervorgerufen werden – folglich eine zusätzlich Einfluss nehmende Grösse zu den Emotionen. Der Begriff Motivation kommt von „movere“, bewegen und bedeutet so viel wie intrinsische d.h. von innen her kommende Beweg-/hintergründe. Motive (Motiv + Möglichkeit = Motivation) sind individuell und vielschichtig, sie sind abhängig von Erziehung, Kultur, Lebensumständen und persönlichen Idealen. Sie sorgen für die Intensität und die Orientierung – Annäherung oder Vermeidung –  vereinfacht gesagt, sie organisieren das Verhalten. Eine Unternehmensführung, die Emotion und Motivation ausser acht lässt, kann sich langfristig nur in den Tod manövrieren. Das kann trotzdem funktionieren – aber aktives Leben gibt es hier nicht.

Was haben wir dazu gelernt? 

In den letzten Jahren hat sich ein erstaunlich grosses Interesse an der Erforschung des Wechselspiels zwischen Kognition und Emotion entwickelt. Inzwischen ist man sich darin einig, dass die traditionelle Vorstellung eines kognitiven Gehirns und eines emotionalen Gehirns aufgegeben werden muss. Damit gehört auch die Idee von rechter und linker Hirnhälfte zu den wahren Märchen, denn die beiden Hemisphären sind weit interaktiver als bis vor einigen Jahren vermutet. Neurowissenschaftler wissen: Emotionale Stimuli, Zustände und Merkmale sind in der Lage, Prozesse der Informationsverarbeitung, die selektive Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis und die kognitive Kontrolle stark zu beeinflussen – und mit diesen Prozessen sind jeweils unzählige neuronale Systeme in beiden Hirnhälften aktiv. Umgekehrt tragen das Arbeitsgedächtnis und die Aufmerksamkeit an der willentlichen Emotionsregulation bei. Hier ist häufig von Impulskontrolle die Rede. Das Paradigma des freien Willens bekommt mit diesen Erkenntnissen etwas Thermik, Freuds psychologischer Determinismus (1856-1939) ein paar Fallböen.

Was die Amerikaner schon längt praktizieren: Emotional aufgeladene Reize wirken deutlich anregender als neutrale Reize. So glich zum Beispiel der Launch des neuen Tesla Model 3 im März dieses Jahres einer Ankunft des Papstes in Rio De Janeiro vor 50 Jahren. Kognitive Daten beschäftigen unser Rechenzentrum, das Arbeitsgedächtnis, weit mehr im Kontext von positiven Emotionen. Allerdings – auch besonders furchteinflössende Reize gelangen sehr schnell in das Arbeitsgedächtnis und blockieren Mechanismen der selektiven Wahrnehmung und zielgerichteter kognitiver Prozesse.

Aus neurowissenschaftlicher Sicht sind wirtschaftswissenschaftliche Kriterien wie Erwartungswert relevant, da diese durch neuronale Aktivität im menschlichen Belohnungssystem im mesolimbischen Areal abgebildet sind. Das mesolimbische Belohnungssystem reagiert auf Emotionen, angereichert mit den individuellen Motiven. Und exakt hier sehe ich die elementare Voraussetzung für Leadership im 21. Jahrhundert. Die Führungskräfte kennen und achten ihre Mitarbeiter und holen sie dort ab, wo sie am besten motiviert werden können. Die Generationen X, Y und Z funktionieren bewusst intrinsisch! Sie wollen einen Sinn sehen, wollen Emotionen leben und Leidenschaft erfahren – auch im Beruf. Müssen, Können, Wollen und Dürfen, dürfte neu definiert werden in: Wollen, Können und Dürfen. Wenn diese Faktoren gegeben sind, entsteht ein neues, selbst motiviertes Müssen.

 

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by netsolution.ch